Harte Landung!

| 23. April 2018 | 8 Comments

Bei den Weltmeisterschaften Anfang April im belgischen Antwerpen hat der Deutsche Sportakrobatik Bund (DSAB) seine wichtigsten Ziele allesamt verfehlt: Weder gab es eine einzige Medaille noch gelang eine der erhofften Qualifikationen für die Europaspiele und Olympischen Jugendspiele.

Knapp ein Jahr nach dem sensationellen Gewinn der World Games waren Tim Sebastian und Michail Kraft natürlich die größte Medaillenhoffnung im deutschen Team und hatten diese auch klar als Ziel ausgegeben: „Uns fehlt noch eine WM-Medaille!“ Doch ein Moment der Unkonzentriertheit im alles entscheidenden Finale zwang die beiden zum Abbruch ihres Parade-Links und ließ sie nicht über Platz sieben hinauskommen. Da tröstet auch der zweite Platz in der Qualifikation wenig. Der zeigt zwar, dass das Duo nach wie vor in der Weltspitze turnt; davon kaufen können sich die beiden aber nichts.

Auch insgesamt blieb der Deutsche Sportakrobatik Bund erst zum zweiten Mal seit 2006 bei einer Welt- oder Europameisterschaft ohne Medaille in allen Altersklassen.

Schock im Block

In Antwerpen ging es aber nicht nur um WM-Medaillen: Beide deutschen Senioren-Trios, Annalena Kunz, Alina Heinowski und Anna Hannemann vom Oldenburger TB sowie Sarah Arndt, Anika Liebelt und Vanessa Riffel vom Dresdner SC, verpassten (knapp) die Qualifikation zu den Europaspielen 2019 in Minsk. Sie müssen sich mit einem (ganz guten) Platz auf der Warteliste begnügen. Genauso erging es dem deutschen Mixed Paar Max Hoppe und Vanessa Schippan (BC Eintracht Leipzig) ebenfalls in der Altersklasse Senioren. (Bei den Europaspielen ist die Sportakrobatik nur mit den Disziplinen Damengruppe und Mixed Paar im Programm.)

Und dann wurde ja im Rahmen der Junioren-WM auch noch die Qualifikation für die Olympischen Jugendspiele (im Herbst in Argentinien) ausgetragen: Zwölf 15-18-jährige Mixed Paare wurden gesucht, sechs davon aus Europa…

Vielleicht zur Einordnung: Die Bedeutung der Olympischen Jugendspiele ist eigentlich weniger sportlicher Natur. Sie erwächst aus dem jahrzehntelangen Traum der gesamten Branche, irgendwann endlich einmal olympisch zu werden. Ins Programm der Olympischen Jugendspiele aufgenommen worden zu sein, zumindest mit einer Disziplin, ist vielleicht der größte Schritt dahin seit der Anerkennung des damaligen Sportakrobatikverbandes IFSA durch das IOC im Jahr 1985.

Bei dieser olympischen Vor-Premiere dabei zu sein, ist mehr als eine „Once in a lifetime“-Chance – diese Chance gibt es überhaupt nur ein einziges Mal. Das wird dann nur noch getoppt durch die Teilnahmen bei den ersten „echten“ Olympischen Spielen – wann auch immer und falls überhaupt.

Den ersten Fast-Olympiateilnehmern (und im Herbst natürlich -siegern) wird auf ewig ein Platz in den Geschichtsbüchern der Sportakrobatik gewiss sein. So haben es sich die Familien Blintsov und Mehlhaff erträumt. Beide Familien mit Sportakrobatik in ihrer DNA: Eltern, Trainer, Bundestrainer und internationale Kampfrichterin in Personalunion. Für diesen Traum haben die beiden Familien vor zwei Jahren ein Mixed Paar gebaut und seitdem alles auf diesen einen Wettkampf in Antwerpen ausgerichtet. Sie haben die Olympiaqualifikation zu ihrem Lebensinhalt gemacht. Alles haben sie diesem großen Ziel untergeordnet, Familie, (Privat-)Leben, vielleicht sogar Gesundheit. So viel geopfert und sich gequält… Am Ende haben sie es vermutlich einfach zu sehr gewollt, sich zu viel – viel zu viel – Druck gemacht.

Der Traum zerplatzte binnen weniger Sekunden, irreparabel: Schon nach dem allerersten Element in der allerersten Übung war für Daniel Blintsov und Xenia Mehlhaff alles aus: Zweimal Ansetzen und zweimal Scheitern beim Knoten-Aufgrätschen bedeutete rekordverdächtige Abzüge ohne Chance auf eine Aufholjagd. Im deutschen Block herrschte Schockstarre…

Wenige Zeilen können gar nicht beschreiben, was für ein Drama sich in Antwerpen für alle Beteiligten abgespielt hat und vor allem hinter den Kulissen abgespielt haben muss.

Ein Unglück kommt selten allein.

Und als wäre das sportliche Unheil nicht schon genug, musste sich der Deutsche Sportakrobatik Bund während der Weltmeisterschaften auch noch von einer Trainerin aus der Delegation verabschieden: Die Familie einer ehemaligen Sportlerin des SC Riesa erhebt schwere Anschuldigungen gegen Trainerin Nina Blintsov. Von einer entsprechenden Strafanzeige erfuhr der DSAB mitten während der Titelkämpfe in Belgien und hatte gar keine andere Wahl als die Trainerin vorläufig präventiv von ihren Aufgaben in der Delegation zu entbinden. (siehe dazu auch DSAB in eigener Sache)

Die Lichtblicke

Beste Deutsche bei der „echten“ WM (Senioren) waren Vincent Kühne, Sebastian Grohmann, Erik Leppuhner und Tom Mädler: Die Dresdner Herrengruppe schaffte zum krönenden Abschluss ihrer Karriere den Einzug ins WM-Finale und belegte dort Platz sechs.

In den Altersklassen Jugend und Junioren überzeugte vor allem der SC Hoyerswerda: Alle drei Formationen zogen ins Finale ein, Gina Lee Nickler und Pia Schütze wurden sogar Fünfte bei den Junioren-Damenpaaren. Weitere Finaltickets lösten Dresden bei den Jugend-Damengruppen (11 bis 16 Jahre) sowie Oldenburg bei den Damenpaaren von 12 bis 18 Jahren.

Einen detaillierten Bericht über das Abschneiden aller Deutschen Teilnehmer in Antwerpen hat Katharina Bräunlich verfasst.

Über den Tellerrand…

Insgesamt betrachtet war die Weltmeisterschaft in Belgien sicherlich das beste Event, das die Sportakrobatik je erlebt hat. Perfekte Organisationen, noch bessere Inszenierung: So viel hat noch kein Veranstalter aus unserer Sportart herausgeholt. Das (eigentlich so simple) Erfolgsrezept: die Sportler in den Mittelpunkt! Mit einer Bühne, mit Musik, mit Licht, mit Portrait-Schnappschüssen auf dem gigantischen Hintergrund-Bildschirm, mit Anheizern, mit einem Profi-Moderator und vielem mehr… Begeisterte Zuschauer in der fast voll besetzten Lotto-Arena waren das verdiente Ergebnis.

Mit vier WM-Titeln plus dem Mannschafts-Titel war einmal mehr Russland beste Nation. Ein historischer Erfolg gelang Israel, Ausrichter der nächsten Europameisterschaft, mit dem erstmaligen Gewinn eines WM-Titels: In der Disziplin Herrengruppe schlugen die vier Männer aus Israel sogar China und krönten ihre langjährige erfolgreiche Karriere. Auch phänomenal ist der dritte WM-Titel von Marina Chernova im Mixed Paar. Allerdings bemitleidete man sie und ihren Partner im entscheidenden Moment mehr als dass man sich für sie freute: Marina Chernova und Georgii Pataraia konnten in der Kiss-and-Cry-Area gar nicht genug Abstand voneinander halten. Es schien, als würden sie am liebsten die Sofas auseinanderrücken statt sich zum Sieg zu gratulieren. Das Traumteam ist wohl vielmehr eine Zweckgemeinschaft…

Schade, dass Belgien ausgerechnet bei der Heim-WM nicht in gewohnter Topform war. Genauso überraschend kam das Tief des langjährigen ersten Verfolgers Russlands: England. In der Mannschaftswertung schafften es die Briten nicht einmal aufs Treppchen. Nur bei der Jugend und den Junioren lief es gewohnt gut.

In zwei Jahren: Genf!?

Der starke Aufwind seit der Übernahme von Bundestrainer Igor Blintsov Ende 2014 machte diesmal Pause. In zwei Jahren bei der nächsten Weltmeisterschaft – gerüchteweise in Genf – wäre eine erneute Flaute fatal: Dann geht es neben WM-Medaillen vor allem auch um die Qualifikation für die World Games. Teilnahme und Abschneiden bei den World Games sind Kriterium Nummer eins für die DSAB-Fördermittel. Einen ähnlichen Durchhänger wie jetzt in Belgien würde die deutsche Sportakrobatik dann also auch ganz schnell im Geldbeutel spüren.

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Category: WM 2018 in Antwerpen

Comments (8)

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  1. Sportakrobatikfan sagt:

    An „Egal“:
    Dass sie aufhören ist ’n Fakt, keine Behauotung. Das ist in der Presse nachzulesen.
    Nämlich hier: https://www.nwzonline.de/oldenburg/lokalsport/oldenburg-sportakrobatik-otb-team-peilt-naechsten-wettkampf-an_a_50,1,1914611820.html
    Da es der Oldenburger Turnerbund in Form der Seite der New Power Generation – Sportakrobatik auf Facebook teilt, werden das auch keine Fakenews sein, sondern es wird tatsächlich stimmen (sonst würden sie es ja wahrscheinlich nicht mehr oder weniger kommentarlos teilen, sondern eine Gegendarstellung rausbringen).

    Und natürlich muss eine nichterreichte Quali kein Grund für eine Trennung sein, aber es ist möglich. Vielleicht war von Anfang an klar, dass es der letzte gemeinsame Wettkampf ist. Dies wurde im Vorhinein aber nicht kommuniziert, deshalb kam der Gedanke auf, dass die Trennung an der fehlenden Quali liegen könnte (von Trainern trennt man sich ja auch, wenns nicht überragend läuft siehe z. B. im Fußball oder Tennis)..
    Das Aufhären betrifft aber nur das A-Team, Pia und Laura machen gemeinsam weiter.

    Und irgendwie finde ich es auch verständlich, dass man sich in Zuge der Trennung dann fragt, ob die weiter machen oder nicht. Annalena Kunz war vorher zusammen mit Kim Weickert ein Team, Kim hat, soweit ich weiß, komplett aufgehört, wohingegen Annalena mittlerweile im A-Team ist und jetzt ist für mich die Frage, ob sie nu‘ auf der Suche nach neuen Partnerinnen ist oder ob sie jetzt auch endgültig aufhören. Ein weiteres Beispiel ist die Trennung von Camille und Lilly. Camille hat mWn auch aufgehört (korrigiert, wenn es nicht so ist, aber auf der Homepage habe ich sie in keinem der Teams gesehen), wohingegen Lilly jetzt in einer Damengruppe ist.

  2. Egal sagt:

    noch nie was gehört davon
    Warum sollten sie auch aufhören, sie sind in sehr guter Form. Quali hin oder her

  3. Sportakrobatikfan sagt:

    Haben Annalena, Anna und Alina dann jetzt gemeinsam aufgehört, weil sie die Qualifikation nicht erreicht haben? Wären sie weiterhin ein Team, wenn sie die Qualifikation geschafft hätten? Die WM war ja der letzte gemeinsame Wettkampf der drei. Und weiß man, ob die drei in anderen Zusammenstellungenweitermachen? Oder hören sie (zum Teil) auf?

  4. Sebastian Schipfel sagt:

    Hallo Kerstin,
    natürlich geht der DSAB als Verband mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten anders um als ich, zumal wenn es sich um ein Mitglied seiner WM-Delegation handelt.
    Die Grundlage für mich als Blogger/Journalist ist in diesem Fall der Pressekodex, Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit, Richtlinie 8.1 – Kriminalberichterstattung: http://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/#panel-ziffer_8__schutz_der_persoenlichkeit_
    (1) An der Information über Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit. Es ist Aufgabe der Presse, darüber zu berichten.
    (2) Die Presse veröffentlicht dabei Namen (…) nur dann, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegt. (…)
    Für ein überwiegendes öffentliches Interesse spricht in der Regel, wenn (…)
    – ein Zusammenhang bzw. Widerspruch besteht zwischen Amt, Mandat, gesellschaftlicher Rolle oder Funktion einer Person und der ihr zur Last gelegten Tat,
    – bei einer prominenten Person ein Zusammenhang besteht zwischen ihrer Stellung und der ihr zur Last gelegten Tat bzw. die ihr zur Last gelegte Tat im Widerspruch steht zu dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihr hat, (…)
    Viele Grüße, Sebastian

  5. Kerstin sagt:

    Der DSAB erwähnt in seinem Artikel bewußt den Namen der Trainerin nicht, die von Eltern beschuldigt wird, um bis zur entgültigen Klärung Ihre Persönlichkeitrechte zu wahren. Warum ist Ihnen dieses Wort fremd Sebastian Schipfel.

  6. ehemaliger Sportler sagt:

    Nachgefragt:
    Warum ist ein Familienabkommen notwendig gewesen?
    Die Nominierung ist für ganz Deutschland wichtig und interessant. Dann fragt man sich, warum in dieser entscheidenden Altersklasse nur ein Mixpaar zum Einsatz kam? Warum ist man nicht auf Nummer sicher gegangen mit einer zweiten Besetzung? Das Mixpaar aus Hoyerswerda passte ebenso vom Alter und haben die Schwierigkeiten ebenso gezeigt.
    Die Chance auf eine Olympianominierung wäre damit größer für Deutschland gewesen.
    Verbessert es, wenn ich falsch liege.

    Es ist nicht rückgängig zu machen. Es wird sicher gründe für diese Entscheidung gegeben haben.
    Wichtig ist Zukunft ! Unser Bundestrainer hat bisher sehr gute Arbeit gemacht und schon Erfolge gebracht, er ist bei den Sportlern und Trainern sehr beliebt.

    Schön wäre, der Igor Blintsov arbeitet für alle Sportler, Vereine in Deutschland wieder so, wie wir es die Jahre vorher kennen in seinem Stil, mit seiner Art und seinen Methoden und das unabhängig von der Meinung aus Riesa und deren Trainerin. Wie es dort läuft kennen viele, eine Strafanzeige wird nicht ohne Grund passiert sein, aber das müssen die Verantwortlichen klären mit dem hoffentlich notwendigem Abstand.
    Die Entscheidung des DSAb ist in diesem Fall auch zu verstehen und richtig.

    2 Jahr für das neue Ziel ist nicht viel, aber genug Zeit was zu schaffen. Bei den deutschen Meisterschaften wird man die Talente sehen und auch finden und das überall in Deutschland.

  7. Dirk sagt:

    Sehr guter Artikel – vielen Dank!
    Was mir ein wenig fehlt, ist die kritische Auseinandersetzung mit der „erfolgreichen“ Konkurrenz, speziell aus den ehemaligen „GUS-Staaten“ oder auch Israel und China.
    Man muss einfach akzeptieren, dass Sport generell und in unserem Fall eben auch oder vor allem Sportakrobatik dort einen ganz anderen Stellenwert einnimmt. Das fängt bei der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit an und hört bei der Förderung noch lange nicht auf. Nicht umsonst haben wir derzeit einen Fall, wo Eltern Strafanzeige wegen fragwürdiger „Trainingsmethoden“ gestellt haben. Das wird in den obengenannten Staaten eher mal nicht vorkommen – da sind diese Trainingsmethoden einfach Grundbestandteil des Sports. So falsch und schlimm das auch ist, da es aber scheinbar keine oder viel zu weit gesteckte ethische Regeln in der FIG oder wo auch immer gibt, sind das Gegebenheiten, denen sich die Sportakrobatik in Deutschland im internationalen Vergleich stellen und/oder entsprechend Stellung beziehen muss.
    Es war für mich augenscheinlich, dass gerade bei „einigen“ Teams auch in bei den AG OberpartnerINNEN am Start waren, die gefühlt nur Bruchteile ihrer PartnerINNEN wogen und zumindest nach meinen ethischen Maßstäben dem Arzt wegen Bulimie-Verdacht vorgestellt werden müssten.
    Und „fragwürdig“ oder auch „anrüchig“ erscheinen mir dann Übungen, in denen bei solchen extremen Mixed-Pair-Konstellation Choreografien mit „Liebesthemen“ dargeboten werden. Der Schwabe würde sagen: Das hat ein „Geschmäckle“.
    Und vor dem Hintergrund muss man sich dann schon auch fragen – will man das? Und da sollte natürlich die Antwort „Nein“ lauten, in der Konsequenz aber muss das dann eben auch ein wenig in das Verhältnis zu den möglichen Erfolgschancen bzw. zu deren Erwartungen gebracht werden …
    Aber das ist nur die Meinung eines eher „unwissenden Zuschauers“ …

  8. Alex sagt:

    Toller Artikel Basti!

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