Es fehlt nur noch eine WM-Medaille…
Nach ihrem sensationellen Titelgewinn bei den World Games wurden die beiden Sportakrobaten Tim Sebastian und Michail Kraft (Dresden / Riesa) von vielen schon als sichere Europameister gesehen. Doch es kam anders für Deutschlands bestes Herrenpaar. Aber von Resignation ist im Gespräch mit Untermann Tim Sebastian nichts zu spüren. Ein Interview.
Schipfel: Tim, lass uns einen Blick zurückwerfen auf den wahrscheinlich besten Sommer deines Lebens. Was kam nach dem Sieg bei den World Games?
Sebastian: Nach den World Games hatten wir gut eineinhalb Wochen trainingsfrei, eine Art Sommerpause. Die war zwar im Hinblick auf die bevorstehende Europameisterschaft sehr verkürzt, aber schon erstmal nötig und gut, um alles verarbeiten zu können. Und um überhaupt mal zu verstehen, was da in Breslau passiert ist.
Richtig frei hatten wir natürlich nicht. Für unsere Verhältnisse kamen enorm viele Anfragen von der Presse, außerdem gab es diverse Empfänge, beispielsweise von unseren Heimatvereinen. Wir waren fast jeden Tag unterwegs und ziemlich gefragt in dieser Zeit. Wir wurden wirklich von ganz vielen auf den Erfolg angesprochen. Aber das freut einen natürlich, wenn man über so einen Erfolg auch sprechen kann und seine Freunde daran teilhaben lassen kann.
Bestimmt gab es auch die eine oder andere Auszeichnung? Was war für dich die wichtigste?
Von den Auszeichnungen her, die wir erhalten haben, überstrahlt die Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes durch den Bundespräsidenten natürlich alles. Danach kommt erstmal lange nichts, das war ein absoluter Höhepunkt… Es waren alle Medaillengewinner von den World Games ins Schloss Bellevue eingeladen und auch die von den Deaflympics, insgesamt etwa 100 Sportler. Johannes B. Kerner hat moderiert, DOSB, Presse und natürlich der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier waren dabei. Leider hatten wir nur ganz kurz die Gelegenheit mit ihm zu sprechen. Aber er müsste jetzt immerhin wissen, was Sportakrobatik ist. Wir haben Glück gehabt, dass wir überhaupt noch in Deutschland waren. Kurz darauf ging es zur Europameisterschaft nach Polen.
Etwas Besonderes war auch die Ehrung des Landessportbundes Sachsen. Die war für alle Sportarten, so dass wir da viele Freunde aus anderen Sportarten wiedergetroffen haben.
Jetzt stehen noch diverse Wettbewerbe zum Sportler der Jahres aus: Da sind wir voraussichtlich bei der einen oder anderen Wahl nominiert.
Hat sich der Sieg auch finanziell gelohnt?
Es gab Prämien, aber natürlich bei weitem nicht in dem Umfang wie bei einem Olympiasieg. Das Thema Sponsoring ist in der Sportakrobatik leider immer schwierig, das ist auch nach so einem besonderen Erfolg nicht anders. Eventuell bekomme ich die Chance als Sportstipendiat Repräsentant der Stadt Dresden zu werden, dafür setzt sich aktuell Sportbürgermeister Dr. Peter Lames ein.
Und dann bin ich noch bei „Mein Management regelt das für mich“ aufgenommen worden. Torsten Reitz unterstützt mit dieser Initiative knapp 20 Weltklassesportler aus Sachsen und hilft uns bei der professionellen Sponsorensuche. Angefangen bei Autogrammkarten. Er hat ein super Netzwerk in Wirtschaft und Politik. Außerdem entlastet er seine Sportler zum Beispiel beim Beantworten von Zeitungsanfragen. Er ist jetzt mein Manager.
Einer deiner besten Freunde ist Kanu-Olympiasieger Tom Liebscher, mit dem du zu zur Schule gegangen bist. Wo und wie groß sind die Unterschiede?
Für uns persönlich gibt es keine Unterschiede. Der Olympiasieg bzw. der World-Games-Sieg bedeuten uns gleich viel. Das gilt auch im Freundeskreis. Natürlich unterscheidet sich die Präsenz in der Öffentlichkeit, ganz besonders in Dresden. Ein weiterer großer Unterschied: Tom übt seinen Sport hauptberuflich als Sportsoldat aus. Daraus resultieren viele Unterschiede.
Inzwischen war schon wieder eine große Meisterschaft in Polen, die EM in Rzeszow. Wie ist es gelaufen?
Die EM war für uns von vornherein ein schwieriger Wettkampf. Als fast einzige in Deutschland war es für uns nicht der absolute Höhepunkt, sondern immer nur das zweite Event in der Jahresplanung. Wir haben in der Vorbereitung versucht wieder auf das Niveau von den World Games zu kommen. Und wir waren eigentlich vor der EM mit uns zufrieden: Wir fühlten uns fit und bereit, wieder Medaillen holen zu können.
Vor Ort lief es dann aber an den Trainingstagen nicht hundertprozentig perfekt. Da waren Kleinigkeiten, über die man sich vielleicht den einen oder anderen Gedanken zu viel gemacht hat. Das gab es rückblickend bei den World Games nicht.
Unser Ziel war es, fünf Übungen turnen zu dürfen. Wir wollten zeigen, dass wir weiter zur Weltspitze dazugehören und dass die World Games keine Eintagsfliege waren. Dafür haben wir knapp drei Monate gekämpft. Wir haben begonnen mit der Balance-Quali, da haben wir leider einen Zeitfehler bekommen. Im Balance-Finale mussten wir dann als Letzte auf die Matte. Da kann man jetzt drüber streiten, ob das ein Vor- oder Nachtteil ist. Jedenfalls haben wir nicht viel mitbekommen von der Konkurrenz, wir haben uns voll auf unsere eigene Übung konzentriert. Aber wir haben schon gewusst: Alles muss passen. Die anderen Wertungen waren über der 29-Punkte-Marke. Wir waren sehr zufrieden mit unserer Übung. Als dann die Wertung kam und wir nur ein Hundertstel Rückstand auf Silber hatten und ein Zehntel auf Gold, war das im ersten Moment verdammt schmerzhaft. Weil mehr möglich war. Im Endeffekt war es von Platz eins bis Platz drei bei allen dieselbe Leistung. Da kann man eigentlich keinen Unterschied feststellen. Im Nachhinein sind wir sehr, sehr stolz, dass wir unsere Medaille von 2015 verteidigen konnten.
Am Tag darauf war Tempo: Wir wissen selber nicht, wie wir es schaffen konnten, bei unserem leichtesten und sichersten Element einen Fehler einzubauen und den Punktabzug zu kassieren. Damit waren das Tempo-Finale weg und der Mehrkampf auch gelaufen. Der eine Fehler hat uns zwei Medaillen gekostet. Schade, dass wir im Tempo-Finale nicht mehr zeigen konnten, was wirklich unsere Leistung ist. Dass wir dann am letzten Tag die drittbeste Kombi-Übung gezeigt haben, beweist auch, dass wir im Mehrkampf durchaus hätten mitspielen können.
Aber wir haben sehr viel Zuspruch bekommen von der Konkurrenz. Wir haben das Gefühl bekommen, dass jeder wusste, dass es ein Leichtsinnsfehler war. Es gibt halt Tage, die laufen so, und es gibt Tage, die laufen anders. Insgesamt lief es bei der EM einfach nicht so hundertprozentig perfekt wie bei den World Games. Im Nachhinein sind wir umso mehr stolz auf die Medaille in Balance. Denn es ist immer noch ein großer Erfolg, in Europa zu den besten drei zu gehören.
Du hast ja mal erzählt, dass du bei den World Games völlig entspannt warst. Aber wo war der Druck größer: Bei der WM 2016 in China, als es um die für Deutschland finanziell so wichtigen World-Games-Tickets ging, oder jetzt als World-Games-Sieger bei der EM 2015 in Polen?
Am Ende geht es um den Druck, den wir uns selber machen. Aber wir wurden in jedem Fall bei beiden Events sehr stark beeinflusst von außen. Von Freunden und auch Funktionären. Bei der WM war der Druck unbeschreiblich, sogar der DSAB hat sich hinterher entschuldigt und gesagt, dass das so nicht hätte passieren dürfen. Jetzt bei der EM hat jeder von einer sicheren Medaille gesprochen. Mindestens. Wir selber wussten, dass es nicht so ist. Aber es war schon sehr schwer, weil viele gesagt haben: Ihr seid schon Europameister. Natürlich hatten wir bei der EM Träume und Ziele. Aber wir haben einfach versucht, mit wenig Druck ranzugehen, da man immer die allerbeste Leistung zeigen muss, um eine Chance zu haben.
Du bist auch Athletensprecher im DSAB, wie beurteilst du generell das Abschneiden Deutschlands bei der EM?
Die EM war ein weiterer Schritt vorwärts für Deutschland im Vergleich zur WM 2016 und vor allem zur EM 2015. Wir sind auf dem klaren Weg nach oben. Wir waren ein relativ kleines Team, aber leistungsmäßig gut aufgestellt. Das ist jetzt ein anderer Weg als er leider die Jahre davor gegangen wurde. Bei den Junioren haben Daniel Blintsov und Xenia Mehlhaff aus Riesa mit zweimal Platz vier vieI Pech gehabt. Bei den Senioren ist Platz fünf in Tempo von Vincent Kühne, Erik Leppuhner, Sebastian Grohmann und Tom Mädler aus Dresden ebenfalls ein großer Erfolg. Das sind definitiv Leistungen, auf die der Verband und das Team stolz sein können. Da waren absolut keine peinlichen Übungen mit drei oder vier Stürzen dabei. Deutschland wird jetzt auch international von den Trainern und Kampfrichtern anders wahrgenommen. Auch wenn die einzelnen Formationen natürlich unterschiedliche Ziele haben: Jeder im Team kann in seiner Disziplin mithalten. Keiner ist nur dabei, um dabei zu sein.
Jetzt heißt das nächste Ziel sicher WM?
Nach der EM haben wir uns mit unserem Trainer Igor Blintsov zusammengesetzt und überlegt, wie es weitergehen soll. Am Ende war es unsere Entscheidung, die von Michail und mir, wir Sportler haben entschieden. Und wir haben als Team entschieden weiterzumachen bis zur WM im April 2018 in Antwerpen. Sowohl aufgrund des Erfolges als auch des Misserfolges bei der EM. Und aufgrund der Wertschätzung, die wir in der Sportakrobatik in Deutschland und auch weltweit erfahren. Das sind sehr angenehme und wertvolle Erfahrungen, die wir nicht missen wollen.
Natürlich wollen wir den richtigen Zeitpunkt für das Karriereende nicht verpassen, aber im Moment genießen wir den Sport noch viel zu sehr und haben wirklich verdammt viel Spaß daran. Wir genießen das Hier und Jetzt, so wie die letzten drei Jahre auch.
2018 wollen wir uns erneut beweisen und erreichen, was wir 2016 in China verpasst haben: Eine WM-Medaille – die fehlt uns noch. Das ist unsere Mission, darauf arbeiten wir hin. Nebenbei wollen wir bei der Vorbereitung auf die WM möglichst auch die eine oder andere Medaille bei den Welt Cups in Puurs und Maia holen. Diese Welt Cups sind extrem wichtig für die internationale Wahrnehmung und als Standortbestimmung.
Und nach der WM werden wir uns wieder mit unserem Trainer zusammensetzen und überlegen, wie es weitergehen soll…
Category: EM 2017 in Rzeszów, Personalien und Verbandsangelegenheiten