Igor Blintsov: Kämpfe jetzt für ganz Deutschland!

| 15. März 2015 | 0 Comments

Bundestrainer Igor BlintsovTrainer-Studium, Vizeasienmeister als Aktiver, ausgezeichnet als „Meister des Sports der internationalen Klasse“ in der ehemaligen Sowjetunion, Vizeeuropameister als Trainer: Igor Blintsov ist Vollblut-Sportakrobat schon sein ganzes Leben lang. Zum 1. Januar hat ihn der Deutsche Sportakrobatik Bund zum neuen Bundestrainer ernannt. Im Interview mit akrobastisch.de hat der langjährige Cheftrainer des SC Riesa über seine Pläne und Herausforderungen im neuen Amt gesprochen.

Schipfel: Herzlichen Glückwunsch zu Deiner Ernennung zum neuen Bundestrainer. Weißt Du eigentlich, wer die anderen Bewerber waren?
Blintsov: Zuerst Danke! Soweit ich weiß, gab es einige gleichwertige Bewerbungen aus ganz Europa. Aber ich kenne auch nicht die vollständige Liste. Der größte Gegner war wohl Ivan Ivanov aus Bulgarien. Mein Vorteil war bestimmt, dass ich die Struktur des DSAB besser kenne und die deutsche Mentalität. Ich war seit 2002 bei jeder WM und EM in der deutschen Delegation. Ich weiß, was man hier aufbauen kann. Außerdem habe ich gute Kontakte in die Technischen Komitees von FIG und UEG und zu vielen internationalen Kampfrichtern.

Bisher warst Du Cheftrainer beim SC Riesa. Was bedeutet es für den SC Riesa und Deine Sportler, dass Du jetzt Bundestrainer bist?
Vor allem waren meine Sportler in Riesa ganz stolz, dass ich den Job bekommen habe. Aber damit hat jetzt auch eine schwere Zeit für den SC Riesa angefangen. Nach der Ernennung habe ich mit den Sportlern gesprochen und ihnen erklärt, dass ich ab sofort für ganz Deutschland da sein werde und nicht mehr wie früher nur für den SC Riesa kämpfe. Ich kämpfe jetzt für ganz Deutschland. Das heißt auch, dass ich ab jetzt für die Riesaer Sportler weniger Zeit haben werde, sogar für die im Bundeskader.
Meine Frau Nina übernimmt meine Trainerstelle in Riesa, bisher war sie ja offiziell nur für die Turn-Jungs zuständig.

Das heißt, Ihr bleibt in Riesa wohnen!?
Ja!

Du bist mit der deutschen Sportakrobatik seit vielen Jahren bestens vertraut. Welche Sofortmaßnahmen stehen auf Deiner To-do-Liste ganz oben?
Was wir vor allem brauchen, ist mehr Zusammenarbeit ohne Ländergrenzen. Wir dürfen nicht gegeneinander arbeiten, sondern müssen miteinander arbeiten für große gemeinsame Erfolge. Das bedeutet, es wird mehr gemeinsame Lehrgänge geben und mehr gemeinsame Wettkämpfe.
Zum Beispiel den Welt Cup in Varna im Mai: Schon im September habe ich inoffiziell mit Sportlern aus verschiedenen Vereinen gesprochen und eine deutschlandweite Mannschaft gesammelt, die sich dort vor einem internationalen Kampfgericht präsentieren wird. Wir müssen unsere Stärken finden und sehen, wo wir in der Welt stehen.
Oder auch das Nachwuchsturnier in Weißrussland für Sportler, die einmal zur WM oder EM wollen: Ich bin noch nie dort gewesen, aber ich habe schon viel Gutes von diesem Wettkampf gehört. Da nehmen viele Spitzennationen teil und vergleichen die Leistungen ihrer jüngsten Sportler. Bestimmt kann man das eine oder andere Programm übernehmen.

Und was planst Du mittel- und langfristig?
Am wichtigsten ist mir ein inoffizieller Perspektivkader für Kinder mit Potenzial.
Natürlich ist es meine Hauptaufgabe, zu internationalen Meisterschaften wie Welt- und Europameisterschaften, Europaspielen, Welt Cups und hoffentlich World Games zu fahren und die deutsche Nationalmannschaft dort zu betreuen und vor allem auch optimal darauf vorzubereiten.
Aber ich will und muss auch besonders an den nächsten Generationswechsel denken und deshalb an die talentierten jüngeren Sportler. Deshalb werde ich nicht nur die Bundeskaderliste führen, sondern inoffiziell auch einen Perspektivkader mit vielleicht 30 Kindern, die ich auch immer wieder mal zwischendurch zu Lehrgängen zu mir einlade.
Ein wichtiger Schritt war, dass ich jetzt von allen Landesverbänden deren Kaderlisten bekommen habe und auch mit den meisten Vereinstrainern gesprochen habe. Nur durch diese Kontakte kann ich mit meinem Perspektivkader weiterkommen.

Hat Dir Vitcho Kolev ein paar Tipps mit auf den Weg gegeben?
Ich habe mit Vitcho schon viele Male seit meiner Ernennung zum Bundestrainer gesprochen. Wir haben viele Jahre zusammengearbeitet und das viel intensiver als das zwischen dem Bundestrainer und einem Vereinstrainer normal wäre. Bei Fragen rufe ich ihn an und er versucht mich zu unterstützen. Und er freut sich, wenn ich ihm etwas Gutes berichten kann. Er wird auch zum Welt Cup nach Varna kommen.

Blintsov: Bei Fragen rufe ich ihn an und er versucht mich zu unterstützen.

Du bist vor kurzem 50 Jahre alt geworden. Wenn nichts dazwischen kommt, bleiben Dir also bis zur Rente gut 15 Jahre als Bundestrainer. Wie sieht Deine Vision für die deutsche Sportakrobatik im Jahr 2030 aus?
Erst mal: Ich mag die Zahl 50 überhaupt nicht, ich fühle mich viel jünger.
Natürlich wünsche ich mir für die deutsche Sportakrobatik alles Beste, aber man muss realistisch bleiben. Für die Sportakrobatik insgesamt hoffe ich, dass wir 2030 olympisch sind. Da läuft in letzter Zeit einiges Positives in dieser Richtung, was ich so gehört habe.
Am wichtigsten ist natürlich die Qualifikation zu den World Games und dass möglichst viele Sportler aus Deutschland mitmachen dürfen. Bei den Oberleuten haben wir zwei Top-Jahrgänge 2000 und 2001, die sind dafür Gold wert.

Sportakrobatik gehört zu den Sportarten, bei denen das Risiko besonders groß ist, an einer Essstörung wie Magersucht zu erkranken. Wie gehst Du als Trainer generell bzw. jetzt als Bundestrainer mit diesem Thema um?
Magersucht ist eine ganz gefährliche und schreckliche Sache, die leider ab und zu auch unsere Sportart betrifft. Denn wir müssen nicht nur schwere Elemente turnen, sondern dabei auch gut aussehen. Da ist es oft schwer eine Grenze zu ziehen und diese nicht zu überschreiten.
Ich sage als Trainer und als Papa: Wichtig ist eine gesunde Ernährung! Man muss auf keinen Fall verhungern. Und: Jeder hat einen eigenen Körperbau. Lieber gebe ich einem Sportler mehr Aufgaben im Training, als dass ich ihm etwas wegnehme. Ab und zu überprüfe ich das Gewicht meiner Sportler, das heißt aber nicht, dass die nichts essen müssen. Aber: Wenn man gerade ein schweres Tempo-Element lernt und frei springen will, dann ist das natürlich ein Unterschied, wenn der Oberpartner zum Beispiel nach einer Geburtstagsparty eineinhalb Kilo mehr wiegt als am Tag zuvor. Das muss ich als Trainer wissen, denn dann ist das Element plötzlich gefährlich und ich sollte es an diesem Tag vielleicht nicht ohne Hilfestellung turnen lassen. Die Gewichtskontrolle bei mir ist also für die Sportler. Und ich merke auch sofort, wenn die Grenze zum Untergewicht vielleicht doch mal überschritten wird. Wenn man das Gewicht seiner Sportler genau kennt, kann man als Trainer viel besser aufpassen. Sonst bemerkt man das vielleicht zu spät.

Zusammen mit Dir als Trainer ist jetzt auch Dein Sohn Daniel Mitglied der Nationalmannschaft geworden. Wird diese Konstellation für Dich in den nächsten Jahren eine besondere Herausforderung?
Ich kenne die Situation gut: Mein Papa war in Kasachstan auch Nationaltrainer und ich in der Nationalmannschaft. Natürlich reden die Leute, wenn der eigene Sohn in die Nationalmannschaft kommt und zu wichtigen Wettkämpfen fahren darf. Aber mein Papa war immer ehrlich. Da braucht man als Sportler Selbstbewusstsein und muss es sich selbst verdienen, dass keiner etwas sagt.
Als Papa bin ich natürlich stolz auf Daniel, aber der Weg zur Nationalmannschaft ist für ihn trotzdem nicht leichter als für andere. Für Erfolg muss man viel tun. Ich unterstütze Daniel und Sneschana so gut wie ich nur kann. Aber genauso auch alle anderen Sportler. Von meiner Seite kann ich Gerechtigkeit versprechen für eine starke Mannschaft. Jeder muss wirklich viel dafür tun. Das gilt auch für Daniel. Nur wenn er es verdient, ist er auch dabei. Ich kämpfe jetzt für alle. Wer gewinnt, gewinnt. Jeder muss mich positiv überraschen. Riesa ist nicht erste Wahl für die Nationalmannschaft.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Category: Personalien und Verbandsangelegenheiten

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