EM-Bilanz (3): Freude oder Frust?
Was bleibt aus deutscher Sicht von der EM 2013? Freude oder Frust?? Am Tag zehn nach Lissabon ein letzter Rückblick.
Anlass zur Freude bot das grandiose Abschneiden Deutschlands in der Jugend mit der Bronzemedaille von Camille Herrmann und Lilly Kutta als Krönung. Die deutschen Sportakrobatinnen und Sportakrobaten haben sich überragend geschlagen und aus dem Mittelmaß weit nach vorn gearbeitet.
Großen Frust stiftete der deutsche Offenbarungseid bei den Senioren nur ein paar Tage später. Kein einziger Teilnehmer! Die deutsche Sportakrobatik steht am Tiefpunkt.
Und die Junioren bewegten sich entsprechend dazwischen: Immerhin konnte der DSAB drei Formationen an den Start schicken. Die haben aber im internationalen Vergleich kaum Chancen: Meist bleibt nur der letzte Platz.
Es soll jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich lieber freut oder grämt.
Je höher die Leistungsklasse, desto weiter geht die Schere zwischen Deutschland und der Weltspitze auseinander. Das stand ja bereits im Vorbericht zur EM.
Außerdem bleiben als Erkenntnisse dieser EM festzuhalten – ebenfalls nicht neu, aber diesmal besonders auffallend:
Deutschland hat ein Artistik-Problem. Und zwar ein gewaltiges. [Ich weiß, dass es bei der Artistik-Note nicht nur um die Choreografie geht. Trotzdem reduziere ich die Artistik-Note im Folgenden auf die Choreografie (und meine auch deren Interpretation – „Musicality and Expression“ heißt das im Code of Points). Die Choreografien sind nämlich in Deutschland das Hauptproblem.]
Eine Choreografie, die in Deutschland als phänomenal gefeiert wird, fällt in Europa allerhöchstens leicht positiv auf. Eine Choreografie, die in Deutschland positiv auffällt, langweilt in Europa. Und eine Choreografie, die in Deutschland als langweilig empfunden wird, tut in Europa beim Zuschauen fast schon weh. Alle Fälle waren in Lissabon aus deutscher Sicht vertreten.
Tun wir für einen Moment so, als würde es nur die Technik-Note geben: Camille Herrmann und Lilly Kutta hätten Silber gewonnen, Franz Krämer und Michail Kraft Bronze, Sebastian Grohmann, Florian Vitera, Erik Leppuhner und Tom Mädler ebenfalls. Michelle Mausolf, Antonia Ristedt und Gofrahn Solh sowie Paul Behrendt und Lukas Teichmann wären jeweils auf Platz vier statt fünf.
Von den deutschen Top-Platzierungen bis Rang fünf wurden beinahe alle von ihrer Artistik-Note runtergezogen. Nur Sarah Arndt, Anika Liebelt und Johanna Schmalfuß nicht. Sarah Haslinger und Lara Kielkopf, deren sechster Platz ebenfalls eine Top-Platzierung ist, auch nicht. Aber umgekehrt haben diese beiden Formationen auch nicht von einer besonders guten Artistik-Note profitiert.
Deutschland muss mehr Augenmerk auf die Artistik legen! Vorbilder gäbe es genug, man muss dafür allerdings über den Tellerrand schauen: Nach Weißrussland oder Belgien zu deren innovativen und mitreißenden Choreografien. Oder auch nach Russland und England. Die möbeln ihre Choreografien – zum Teil von denselben Choreografen wie in Deutschland – einfach so lange auf, bis die Kampfrichter nichts mehr zum Abziehen finden.
In einer höheren Altersklasse zu starten als nötig ist Quatsch, siehe Erkenntnis Nummer eins. Egal ob sie in einer höheren Altersklasse starten wollten, sollten oder mussten. Tiefer hätten Franz Krämer und Michail Kraft sowie Tobias Otto, Vincent Kühne, Moritz Löhmann und Laurin Werner vermutlich besser abgeschnitten.
Und zu guter Letzt: Kein EM-Start um jeden Preis, wenn einmal klar ist, dass ein Paar oder eine Gruppe keine gemeinsame Zukunft mehr hat. Es bringt nichts, einen EM-Start um des EM-Starts willen trotzig zu erzwingen. Das geht in der Regel schief und bringt sicher keinen Motivationsschub. Stattdessen geht wertvolle Zeit verloren. So hätte der SC Riesa Diana Dierich und Yasmin Sroka den Start in Portugal wohl besser erspart. Das Ende ihrer gemeinsamen Karriere ist inzwischen offiziell. Aber auch für ein paar andere Formationen wird die EM 2013 der letzte Wettkampf gewesen sein. Bei manchen ist das schon besiegelt, bei anderen bislang nur ein Gerücht.
Category: EM 2013 in Lissabon
zum EM Start … für manche ist es einfach ein Traum überhaupt mal teilgenommen zu haben, vorallem wenn man schon so hart dafür trainiert hat. und es sind bisher schon einige formationen gestartet, die alles andere als sicher auf der matte waren und trotzdem ihr EM ticket gezogen haben 😉
Ich würde doch das Positive ins Zentrum stellen. Deutschland ist nach wie vor ein solide Sportakrobatik Nation! Natürlich gibt es Probleme bei den Senioren, auch das ist nicht wirklich neu. Auch das Deutschland in Sachen Choreo nicht zu den Besten gehört ist nicht neu. Jeder Verein, jeder Landesverband muss versuchen ständige besser zu werden. An einigen Orten ist dies in den Letzten Jahren geglückt an andern weniger.
Ich jedenfalls wünsche allen Akrobten dieser Welt nur das Beste!
Akrobatengruss aus der Schweiz
Jörg
Wie wahr, wie wahr.
Aua!
Danke,
für Deine Analyse, Sebastian!
Freude oder Frust?:
Beides…