Die neuen alten Mächtigen
Viele hatten es nach den Auseinandersetzungen der letzten Wochen und Monate bestimmt nicht erwartet, aber die Botschaft der Delegiertenversammlung des Deutschen Sportakrobatik Bundes (DSAB) hätte kaum eindeutiger ausfallen können: Das Präsidium des DSAB hat in den letzten drei Jahren hervorragende Arbeit geleistet, die keinerlei Anlass zu Beanstandungen gab. Anders ist es nicht zu erklären, wie brav und harmonisch die Delegierten der Landesverbände sowohl die Jahresberichte als auch die Neuwahlen abnickten… Eine einzige „Nein“-Stimme bei der Wiederwahl von Bernd Hegele war das Maximum allen zart gehauchten Gegenwinds.
Das ist ebenso erfreulich wie verwunderlich. Die (den Landesverbänden bereits vor Wochen zugestellten) Berichte der Präsidiumsmitglieder über die vergangenen drei Jahre provozierten faktisch keine einzige Wortmeldung. Kritische Rückfragen? Fehlanzeige! Stattdessen offenbar gänzliche Zufriedenheit mit der Führung des Spitzenverbandes, dessen Transparenz und Kommunikation. Gleiches gilt für die Neuwahlen: Sieben der acht bisherigen Präsidiumsmitglieder des DSAB stellten sich zur Wiederwahl und wurden mit überwältigenden Ergebnissen im Amt bestätigt. Lediglich der bisherige Vize-Präsident für Breitensport Dr. Johannes Eismann trat nicht mehr zur Wahl an. Seinen Posten übernimmt Björn Fünfstück. Niemand scheint sich erinnert zu haben, dass Norbert Müllmann und Werner Kasper vor drei Jahren angekündigt hatten, diesmal nicht mehr zu kandidieren. Niemand wollte wissen, warum die beiden nun doch noch eine Amtszeit dranhängen. Vielleicht konnten sie keine Nachfolger finden? Aber es fragte auch niemand kritisch interessiert, ob die beiden denn intensiv genug gesucht hätten… Geschweige dann, dass irgendeine Gegenkandidatur präsentiert wurde.
Die Themen, die in den letzten Wochen, Monaten und Jahren omnipräsent zu sein schienen, waren plötzlich nicht mehr existent.
So war es wahrscheinlich zu seiner eigenen Überraschung Präsident Martin Gerster höchst selbst, der in seinem Jahresbericht zum Auftakt der Versammlung die deutlichsten Worte fand: Er will in der kommenden Legislaturperiode unter anderem den fälligen Generationswechsel zur Chefsache machen und am liebsten ein paar junge und qualifizierte Frauen für die Mitarbeit im Präsidium begeistern, um so auch gleich das Ungleichgewicht der Geschlechter im höchsten Gremium des DSAB zu korrigieren. Zur gesamten Bilanz von Martin Gerster nach seiner ersten vollständigen Legislaturperiode im DSAB und seinen Absichten und Zielen für die zweite Amtszeit folgt auf dieser Webseite noch ein eigener Beitrag.
Lediglich bei den beantragten Satzungsänderungen entzündete sich zuweilen ein leidenschaftlicher Disput. Zumeist ging es bei den Streitpunkten um die (Um-)Verteilung von Macht, egal ob diese offensichtlich gefordert oder subtil verschleiert war. Debattiert wurde zum Beispiel: Wonach soll sich die Anzahl der Delegierten pro Landesverband künftig berechnen (Vereine oder Mitglieder) und soll sie auf maximal sechs Stimmen gedeckelt werden? Sollen der Vize-Präsident für Leistungssport und der Bundeskampfrichterobmann weiterhin von der Delegiertenversammlung gewählt werden oder von den Landessportwarten bzw. Landeskampfrichterobmännern (analog zum Jugendreferenten, der von den Jugendleitern der Länder gewählt und von der Delegiertenversammlung nur noch bestätigt wird)? Muss das Präsidium Beschlüsse der Technischen Kommission über Änderungen der Wettkampfordnung akzeptieren? Darf das Präsidium die Wettkampfordnung ohne Einbeziehung der Technischen Kommission ändern? Und dergleichen mehr…
Was im Einzelnen genau entschieden wurde, wie sich die Satzung nun im Wortlaut geändert hat, kann ich an dieser Stelle nicht sagen. Ich habe stellenweise den Überblick verloren. Ich glaube aber folgendes Schema ausgemacht zu haben: Die vom Präsidium für notwendig erachteten Anträge fanden die nötige Zustimmung. Sobald aber die Macht der „starken“ Landesverbände oder des Präsidiums angekratzt zu werden drohte, blockierten diese. Die Anträge der „Kleinen“ wurden abgeschmettert, die bedeutsamen ebenso wie die banalen, beispielsweise die Amtszeit der Funktionäre von drei auf vier Jahre zu verlängern. Man muss wissen: Für eine Satzungsänderung bedarf es einer Zweidrittelmehrheit, die beispielsweise Württemberg und Sachsen ganz alleine kippen können. Die Diskussionen zeigten aber durchaus, dass sich die „Kleinen“ übergangen fühlen und gerne auch mal signifikante Entscheidungen (sowohl personeller als auch regulativer Natur) gegen den Willen der „Großen“ durchsetzen würden.
Zum Abschluss wurde der scheidende Dr. Johannes Eismann aufgrund seiner langjährigen Verdienste für die deutsche Sportakrobatik von den Delegierten einstimmig zum Ehrenmitglied des DSAB ernannt. Angesichts dieser Ehre bekam sogar der sonst so unerschütterlich wirkende Dr. Eismann feuchte Augen. 20 Jahre, also seit der Wiedervereinigung, arbeitete der Sachse nun für das DSAB-Präsidium, zuletzt lange Jahre als Vize-Präsident für Breitensport. In seiner emotionalen Abschiedsrede erinnerte er unter anderem an die Weltmeisterschaft 1990 in Augsburg, die für ihn und seine Sportakrobaten aus den „neuen Bundesländern“ von so großer Bedeutung war, weil erstmals eine gesamtdeutsche Sportakrobatik-Nationalmannschaft antreten durfte. Seinen Präsidiumskollegen versicherte er, der Sportakrobatik treu zu bleiben und dem DSAB auch in Zukunft mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Bereits im Vorfeld der Delegiertenversammlung hatte sich das Schiedsgericht des DSAB versammelt, um über die Anklage des SAV Mainz-Laubenheim zu entschieden. Die Mainzer warfen zum einen den Funktionären Bernd Hegele, Norbert Müllmann und Vitcho Kolev verbandsschädigendes Verhalten im Zusammenhang mit der WM-Nominierung der Junioren-Damengruppen vor, zum anderen forderten sie die WM-Nominierung der Damengruppe Mona Rheinberger, Lorena Mager und Amina El Zenary. Die Klage wurde erwartungsgemäß abgewiesen und die Schiedsrichter, die explizit nicht über sportliche Leistungen, sondern nur über die Korrektheit der Vorgänge urteilten, sprachen die Beschuldigten von allen Vorwürfen frei. Allerdings ließen es sich Rolf Krivokapic, Norbert Hildenbeutel und der Vorsitzende Rolf Naumann auch nicht nehmen, den Verantwortlichen des DSAB nahezulegen, das derzeitige Nominierungsverfahren zu überdenken und beispielsweise internationale Wettkämpfe inner- und außerhalb Deutschlands in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Stehend von links: Werner Hassepaß (Pressereferent), Frank Böhm (Jugendreferent), Vitcho Kolev (Bundestrainer), Martin Gerster (Präsident), Dr. Johannes Eismann (Ehrenmitglied des DSAB), Norbert Müllmann (Kampfrichterobmann), Bernd Hegele (Vize-Präsident für Leistungssport), Werner Kasper (Lehrreferent). Vorne von links: Dieter Mertes (Vize-Präsident für Finanzen und Verwaltung), Björn Fünfstück (Vize-Präsident für Breitensport). Dem Präsidium gehört nach einer Satzungsänderung künftig außerdem Dr. Birgit Hofferek-Nüß an, die zwar nicht anwesend sein konnte, aber als Dopingbeauftragte bestätigt wurde.
Category: Personalien und Verbandsangelegenheiten
Sebastian Schipfel schreibt: „Das (gemeint ist der schwache Gegenwind)ist ebenso erfreulich wie verwunderlich.“
Ausnahmsweise bin ich diesmal nicht Deiner Ansicht, lieber Schipfel. Der minimale Gegenwind ist weder verwunderlich noch besonders erfreulich. Warum? Das Schweigen der Delegierten ist nicht zuletzt Ausdruck der schmalen Personaldecke des DSAB. Es gibt nicht viele qualifizierte Leute, die ein solch zeitraubendes Präsidiums-Ehrenamt übernehmen wollen. Das wissen die Delegierten. Große Kritik würde aber unweigerlich bedeuten, dass die Gefahr des Rückzuges einiger Funktionäre droht. Was wäre dann gewonnen? Möglicherweise einige gar nicht mehr besetzte Präsidiumspositionen! Dann besser den Mund halten und ein voll einsatzfähiges Präsidium haben! Verwunderlich ist das Delegiertenverhalten also eigentlich nicht. Erfreulich aber eben auch nicht, weil halt mal wieder wichtige Dinge nicht offen angesprochen wurden.
Alles klar, danke!
[quote name=“Soederberg“]Ich war gerade auf der DSAB-Seite und habe erfahren das Anträge von Hessen und NRW auf der Delegiertenkonferenz keine Mehrheit gefunden haben. Weiß jemand um welche Anträge es sich dabei gehandelt hat?[/quote]
Also: Hessen hatte den Antrag gestellt, die Sitmmenverteilung der Delegierten nicht mehr nur an den Mitgliederzahlen auszurichten, sondern auch an der Zahl der Vereine.
NRW hatte beantragt, a) das Präsidium auf vier, statt bisher drei Jahre zu wählen und b)die Zusammensetzung der Technischen Kommission zu ändern.
Ich war gerade auf der DSAB-Seite und habe erfahren das Anträge von Hessen und NRW auf der Delegiertenkonferenz keine Mehrheit gefunden haben. Weiß jemand um welche Anträge es sich dabei gehandelt hat?
Herzlichen Glückwunsch an alle Präsidiumsmitglieder, vor allem aber an Björn.
Herzlichen Glückwunsch, besonders an Dr. Eismann, der von den „alten Herren“ als erster von der Macht lassen konnte.
Herzlichen Glückwunsch! Vor allem an Björn Fünfstück, der das Durchschnittsalter des Präsidiums wahrscheinlich enorm nach unten korrigiert.